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„Der Geschmack von Kurut“

Das „Bosyi“: Die Großeltern von Aiperi haben für uns ein besonderes Gästezimmer aufgebaut. | Fotos: Wanja Schunter

Donnerstag, 6. Juli 2017:

Der Flug von Frankfurt a.M. nach Almaty in Kazachstan dauert 5.45 Stunden. Auf dem Satellitenbild vor mir sehe ich die Orte, die wir überfliegen. Wir passieren Breslau, fliegen südlich an Moskau vorbei, dann enden die Ortsnamen, mit denen ich etwas anfangen kann. Immer wieder stellt die Anzeige die Himmelsrichtungen auf den Kopf. Unser Flugzeug zeigt dann nicht mehr nach rechts, sondern geradeaus. Der Osten als Blickrichtung ist ungewohnt. Als wir den Ural überqueren, fühle ich mich richtig weit weg.

Freitag, 7. Juli, abends:

Beshbarmak – Fünf Finger. Diese Nudeln mit Rindfleisch und Pferdewurst kriegen wir nur bei Aiperi zu Hause.

Aiperis Großeltern haben extra für uns eine Besucherjurte aufgebaut und bitten uns hinein: Der niedrige Tisch ist voll beladen mit Nüssen, Früchten, dem runden Fladenbrot Nan und Marmelade. Zu trinken gibt es Tee und Jarma, das ist schön kühl bei der Hitze. Die Großmutter wedelt die Fliegen weg, die uns beim Essen Konkurrenz machen. Wir probieren alles. Die Milchprodukte schmecken ungewohnt, die Früchte viel besser als bei uns. Hier ist alles bio, sagt Aiperi, niemand spritzt seine Früchte. Dafür haben die Leute gar kein Geld.
Der Großvater fragt, ob wir Alkohol trinken:

Audio „Trinkt ihr Alkohol?“ – „Ja, Bier… oder Wein…“ – „Sie trinkt nicht, ich trinke nicht.
Sind wir schlechte Gastgeber, wenn wir euch nichts anbieten?“
*

Spät abends machen Aiperi und ihre Schwester Rakhat die Betten für uns. Da, wo wir vorher gegessen haben, legen sie ein paar der bunten Baumwollmatten übereinander, die uns schon beim Essen als Sitzgelegenheit dienten. Aber zuerst fegt Aiperi die Jurte mit einem Reisigbesen aus. Warum tut sie das? Es war doch gar nicht so dreckig.

Audio „Wir dürfen nicht auf Essen liegen.“
*

Samstag, 8. Juli:

Auf dem Osh Bazaar in Bishkek könnten wir Tage verbringen, um alles zu sehen, was es hier gibt. Aiperi und ich schieben uns an Kleiderständen vorbei, durch die Aussteuerabteilung mit den verzierten Hochzeitstruhen, das einzige Möbelstück in den Jurten, gut sichtbar gegenüber vom Eingang plaziert. Die Frauen bringen sie in die Ehe mit. Und diese riesigen Ballen mit Vlies, was ist das? Es sieht aus wie Füllwatte, aber es fühlt sich schön an, gar nicht künstlich. Das ist Baumwolle, sagt Aiperi. Man nimmt es als Füllung für die Töshöks, weißt du, die Matten, auf denen wir essen und schlafen.

In der Fleischhalle riecht es streng, schnell weiter, sagt Aiperi. Das Schweinefleisch verkaufen die Russinnen. Bei den Hühnchen hat Aiperis jüngste Tante einen Stand. Sie ist heute nicht da, aber ihre Standnachbarinnen sind neugierig und wollen wissen, woher ich komme und wie es mir in Kirgisistan gefällt. Oh, es gefällt mir, nur heute ist es zu heiß. 38 Grad, so etwas bin ich nicht gewöhnt.

Egal, wo wir auf dem Markt gehen oder stehen, überall werden wir von den Lautsprechern beschallt, die Dinge bewerben, ohne dass ich verstehe, worum es sich handelt.

In einer der Hallen spricht ein Mann uns an. Er hat ein Buch in der Hand. Darin sind die Sehenswürdigkeiten von Kirgisistan abgebildet.

0’18 Das ist der drittgrößte Berg der Welt… „Kommunizm Pik“…

Er zeigt uns Berggipfel, Blumen, das Nationalgericht Beshbarmak mit der Pferdewurst, den bekanntesten kirgisischen Schriftsteller Chingiz Aitmatov.
Danke, dass ihr nach Kirgisistan kommt und euch für unsere Kultur interessiert, sagt er. Mit Deutschland kann er auch was anfangen:

0’57:
– Sie kommen aus Deutschland, richtig? Da gibt es doch Karl Marx, Friedrich…
– Karl Marx?
– Das Kapital. Ja, ja, Karl Marx…
Gut, gut, danke!

Ein ganz gewöhnlicher Verkehrsteilnehmer auf einer Straße im Susamyir-Tal.

Dienstag, 11. Juli:

Eine Tagesreise entfernt in Toktogul. Im kleinen Dorf Telman wohnen Tante Gülbü und Onkel Emil mit ihrem Enkel Erbol. Ihre Kinder sind schon erwachsen, und wir dürfen in den Kinderzimmern schlafen. Erbols Eltern wohnen und arbeiten in Moskau, um Geld für ein Haus zu verdienen. Matthias möchte nach der langen Reise gern duschen. Aber eine Dusche gibt es nicht. Onkel Emil geht hinaus, es dauert ungefähr 10 Minuten, dann ist die Dusche fertig: Aus vier Holzstangen gefertigt mit einer Plastikplane drum herum. Das Wasser holen wir mit einem Eimer aus dem kleinen Kanal hinter dem Haus. Eine Dusche im Grünen, das ist bei diesen Temperaturen perfekt. Selbst auf knapp 2000 Metern ist es tagsüber heiß.

Am nächsten Tag fahren wir im Geländewagen des Onkels ins Jailo, auf die Sommerweide. Der Wagen sieht aus wie ein Militärauto aus den 60er Jahren. Das ist ein anderes Gefühl als im japanischen Minivan am Tag zuvor. In dieses Auto habe ich unbegrenztes Vertrauen. Es rumpelt über Stock und Stein und bringt uns sicher hinter jede noch so steile Kurve. Besser allerdings sind in den Bergen die traditionellen Fortbewegungsmittel.

Schon fast ein Dzhigit, ein kirgisischer Junge: Aiperi nimmt Ilja mit auf die Sommerweide.

Reiten – darauf haben wir uns schon zu Hause vorbereitet. Unsere Kinder mal mit mehr, mal mit weniger Vergnügen. Die kirgisischen Pferde sind klein und zäh. Sie werden nicht zum Spaß geritten, sie sind Arbeitstiere. Außer den wilden Hengsten natürlich, die bei den kirgischen Reiterspielen mitmachen. Auf denen darf niemand reiten, der es nicht wirklich kann.

Das Jailo. Hier hüten ein paar Familien über die Sommermonate die Kühe und Schafe des Dorfs.

Auf unserem ersten Pferdeausflug ist ein Dzhigit dabei, ein junger Mann. Er führt mein Pferd, weil er Angst hat, dass es davon läuft. Wir versuchen, uns zu unterhalten. Das ist nicht so leicht, aber ich verstehe, dass er in Moskau arbeitet und nur im Sommer in Kirgisistan ist, um seiner Familie im Jailo zu helfen. Gefällt dir das Jailo, frage ich. Selbstverständlich sagt er, sonst wäre ich ja nicht hier. Kühe und Schafe hüten an einem Bach in den Bergen, ohne feste Behausung, ohne Ablenkung. Der junge Mann ist vielleicht 20 Jahre alt, ich kann das schlecht schätzen. Kannst du singen? fragt er mich. Ja, klar kann ich singen, und ich singe auch was: Hejo, spann den Wagen an. Das ist das Einzige, was mir einfällt. Danach singt der Dzhigit, und ich werde ganz still. Er singt so:

Der Dzhigit, der anonym bleiben möchte, singt in einem Zelt aus Holzstangen mit einer Zeltplane darüber. Ich sage dem Publikum, dass es ganz still sein muss.
*

Erst als ich den Dzhigiten höre, kann ich mir vorstellen, wie es Dshamilija in Chingiz Aitmatovs Roman ergangen ist.

Copyright für alle Texte, Bilder und Audios© Maidon Bader